Sehr geehrter Herr Bezirksbürgermeister Hupke,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Ingo Kümmel-Freunde.

In meiner Laudatio auf Ingo Kümmel möchte ich Sie an der Antwort auf eine Frage teilnehmen lassen, die sich mir aufdrängte, als ich die Aufforderung erhielt diese Rede zu halten.

Eine Frage lautet: Was würde Ingo Kümmel heute machen angesichts der völlig veränderten Kulturszene in der Stadt Köln, deren Änderung ja sich gerade in der Zeit abgezeichnet hat, als er vor 21 Jahren, 53jährig, am 1. Mai 1990 , in Köln verstarb?

Er wäre wahrscheinlich gerade eben aus China zurückgekehrt - noch kurz vor dem Besuch der chinesischen Regierungsdelegation, wo er wegen seiner Aktion zugunsten von Wei Wei aus dem Gefängnis entlassen worden wäre.

Diese Fiktion liegt für mich aus mindestens zwei Gründen so nahe, daß es Ihnen gegenüber einer Begründung bedarf: Ai Weiwei bot eine Kunst - Kassel 2007, der einstürzende Turm - die ganz seinen Fluxus-Intentionen entsprach und Solidarität mit Künstlern diesen Schlags gehörte zu Ingo Kümmels Lebensprinzip.

Eine weitere Frage würde lauten: wo würde man ihn heute antreffen?

Man könnte ihn in vielen der über 37 Theater antreffen, die es heute in Köln gibt oder in den zahlreichen Musikveranstaltungsorten - wie dem King George am Eberbertplatz, dem Eigelsteintor, der Feuerwache, dem Bürgerhaus Stollwerk und vielen anderen. Denn in diesem Milieu hat er sein Engagement 1959 in Köln begonnen: Olshausen, Cafe Central, Blue Shell, Cafe Campi, Roxy, schliesslich EWG waren seine Orte, an denen er seine Begegnungen mit Jaki Liebezeit, den Stoaways (nachmals Bläck Fööss), Mauricio Kagel, Stockhausen vom Studio für Elektronische Musik des WDR und Nam June Paik pflegte.

Friedemann Malsch schrieb über ihn: "Ingo Kümmel kam immer durch die Wand."
Was meinte er damit? Sicherlich nicht nur seinen Schnapsladen, in dem er im Hinterzimmer Kunst ausstellte. Und zwar solche Kunst von jungen unakademischen Künstler wie Paul Heimbach, aber auch Kunstwerke von akademischen Künstlern wie die von Wewerka und Diter Rot. Heraus kamen Werke der Performance- und Fluxuskunst - das wurde dann in aller Breite vorgeführt auf dem Neumarkt der Künste.

Aber das wäre doch alles weit weg von Ai Weiwei.
Dichter dran war er noch bei der Organisation von Joseph Beuys Politsong "Sonne statt Reagan" [der Präsident der USA] im Jahre 1982 gegen Ende der Ära des Wettrüstens. Denn er hatte dann schon bald seine Engagement als Galerist aufgegeben. Schon 1974 trat er aus dem Vorstand der "Internationalen Kunst- und Informationsmesse" aus als Konsequenz seiner Erfahrung mit dem 1968 veranstalteten "Kunst + Gemüse" Markt in Braunfels und dem "Neumarkt der Künste". Diese Erfahrung in der Organisation großer Kunstausstellungen führte ihn über die Düsseldorfer IKI im Jahre 1972, zur noch heute auch international bedeutenden "Art Cologne". Vorausgegangen war die Blockade des Eingangs zum Kunstmarkt, der sehr exklusiv im vormaligen Kulturzentrum an der Cäcilienstraße sich eingerichtet hatte. Diese Blechbüchsenblokade hatte er zusammen mit HA Schult und Reinhold Koehler als "Aktionskunst, die den der Kunst zugewiesenen Rahmen" sprengen sollte angezettelt - also gegen einen nur kommerziell orientierten Kunsthandel gewandt.

Mißerfolge irritierten ihn nicht, denn längst hatte er ein weiteres Betätigunsgfeld mit Gleichgesinnten für sich erschlossen: Dichterlesungen. Heinrich Böll, Rolf Dieter Brinkmann, Max Bense und Helmut Heißenbüttel waren damals seine Gäste. Und dazu würde er einige dieser kleinen Theater heute benutzen, wie damals 1978 beim Bonner Sommer, um wieder so etwas wie den damaligen John Cage-Musikzirkus zu organisieren.

Köln hat heute nur noch eine bescheidene Szene, die bildenden Kunst öffentlich werden läßt sich widmet. Die Galerien sind fast alle aus der Innenstadt verschwunden, sie widmen sich dem Insidergeschäft. Ich kann mir nicht recht vorstellen, daß die elektronischen Medien sein Metier geworden wären, dazu stand er viel zu viel auf Körpereinsatz: Mit der Kunst/Musik/Lesung war bei ihm nicht nur organisatorischer Einsatz vor der Veranstaltung verbunden, sondern am liebsten wuselte er bei der Eröffnung oder jeder Präsentation im Zentrum herum.

Das offizielle Köln hat ihn damals nicht zur Kenntnis genommen.
Daß er anläßlich einer Rede des Oberbürgermeisters Burger im Stollwerck Kulturzentrum zur Eröffnung einer Veranstaltung des Kaninchenzüchtervereins zum 75j. Bestehen - der sogen. "Hasenrede" - das Mikrofon zurechtrücken durfte, bedeutete ja nun keineswegs eine offizielle Anerkennung seiner Rolle als Organisator dieses autonomen Kulturzentrums.
Gleiches galt für den turbulenten Vorfall auf Bioleks Geburtstagsfeier im Annosaal, als ein Tontechniker bei Kümmels Rede das Mikrofon abstellte, ohne daß Biolek davon etwas wusste. Nach Aufklärung las Biolek diese Rede selber vor, in der Kümmel die anwesenden Politprominenz ob ihrer Anwesenheit als illegale Besetzer qualifizierte.

Doch er hatte auch drei Protéges auf der Verwaltungsebene: Den Kulturdezernenten Kurt Hackenberg und Herrn Gellner vom Kulturamt. Dazu kam vom Stollwerk-Sanierungsbüro Herr Reinhard Niederhauser, der ihm Schützenhilfe gab, die besetzten Räume für die von ihm organisierten Musik-, Theater- und Kunstveranstaltungen geduldet nutzen zu können, Veranstaltungen mit Leuten wie Winterfeld, Hingstmartin, Yilmaz oder Krips, Angi Hiesel, Al Hansen oder Frank Köllges, von denen die Ideen stammten, die er organisatorisch durchboxte. Und dazu holte er immer wieder neue Personen hinzu, die er manches Mal dazu überreden konnte, wenn sie irgendwo in der Nähe ein Engagement hatten, auch noch im Stollwerck aufzutreten. Manche lange Nacht mit Chi Coltrain, Grete Wehmeier, Jackie Liebezeit, oder den Einstürzenden Neubauten konnte ich da in kleinem Kreis genießen.

Sein Büro hatte er später dann aus dem Stollwerck in eine der Kneipen um die Ecke verlegt: Erst gegenüber von der Bottmühle, dann an den Clodwigplatz und schließlich ins Chinz mit nichts weiter als einem goldenen Tischaufsteller vor sich: Büro Kümmel!
Hier gleich linker Hand um die Ecke in der Dreikönigenstraße wohnte er zuletzt. 18 Jahre nach seinem Tod beschloss der Rat der Stadt Köln, ihm mit der Benennung dieses Plätzchens - ganz unmittelbar am Ort, wo sich ehedem sein Büro im Stollwerck im ersten Stock befunden hat - ihn doch noch für seine Verdienste zu ehren.
Mich freut im gleichen Ratsprotokoll von 2008 nach ihm auch Günther Wand, den langjährigen Dirigenten des Gürzenichorchesters, die beiden Architekten Rudolf Schwarz und Karl Band und die Politiker Johannes Rau und Jürgen Wischnewski mit gleicher Ehrung bedacht zu finden.

Gleicher Generation entstammen die beiden Politiker und einer anderen, älteren Generation entstammen die beiden Architekten. Ingo Kümmel gehörte einer jüngeren Generation an, für die der Wohlstand der Bundesrepublik in reinen Konsum als hauptsächlicher Lebensinhalt zu münden drohte. Und er entdeckte für sich die Fluxus-Bewegung als eine Möglichkeit der Irritation dieser Tendenz.
Jedes Zusammentreffen von Künstlern nutzte er um derartige Irritationen zu inszenieren.
Dazu war ihm jedes Mittel recht, wenn es nur mit hohem professionellem Können zur Darbietung kam. Im Urteil darüber war er professionel und unbestechlich konsequent. Und das bewunderten alle beteiligten Künstler, ob Bildhauer oder Maler, Musiker oder Sänger, Performance-Künstler, Schriftsteller oder Dichter an ihm.

Fluxus hatte seine Zeit. Schon in den 90er Jahren war deren Zeit abgelaufen.
Eine nächste, jüngere Generation war angetreten - viele von ihnen noch in seinem Dunstkreis zur Kunst gekommen. Sie haben die Kunstszene nicht nur in Köln sichtbar verändert.

Ingo Kümmes Aktivitäten waren da schon Geschichte geworden. Dafür ehren wir ihn heute mit der Benennung eines kleinen Platzes in städtischem Besitz und unter kommunaler Obhut seines vormaligen Wirkungsortes nach ihm als Ingo-Kümmel-Platz.

Peter Gerlach, Kön




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